Über 40 Jahre hat Kapitän Gerhard „Herzi“ Eilers mit seiner „Wappen von Juist“ Touristen von der ostfriesischen Insel zur südwestlich gelegenen Vogelinsel Memmert gebracht: ein Tagesausflug in ein kleines Paradies.
Über eine schmale Brücke betrat man die „Wappen von Juist“. An Deck befanden sich zwei Bankreihen: Rücken an Rücken. An der Reling standen Fernrohre bereit, um den Touristen einzigartige Zugvögel sowie Seehunde und Kegelrobben näherzubringen. Wer diesen Tagesausflug zur Vogelinsel Memmert gebucht hatte, der stellte sich auf einen unvergesslichen Tag mit vielen wunderbaren Eindrücken ein. Der Startzeitpunkt hing von der Tide ab. Manchmal stach Kapitän Eilers schon morgens in See, manchmal erst am Nachmittag – mal bei Sonnenschein und strahlendblauem Himmel, mal bei Windstärke sieben und Wolken. Aber immer schipperte die „Wappen von Juist“ aus dem Juister Hafen und drehte dann gen Borkum ab. Kapitän Gerhard Eilers, von allen „Herzi“ genannt, kennt das Watt wie seine Westentasche. Er lenkte sein Schiff routiniert auf der Wattseite der Insel Richtung Westen. Je nach Jahreszeit bekamen die Urlauber bereits auf dem Weg eine Menge interessanter Wassertiere zu sehen.

Ca. 2 Stunden dauerte die Fahrt zur Vogelinsel. Stunden, in denen die Urlauber sich einfach den Wind um die Nase wehen lassen, die Aussicht genießen und den Informationen von „Herzi“ Eilers lauschen konnten. War die „Wappen von Juist“ dann am Ziel, begann für die Touristen der Landgang. Wer Memmert erkunden wollte, musste das Schiff über eine Leiter verlassen und ein kurzes Stück durch das knietiefe Wasser waten. Dann war man da und die Erkundung der Vogelinsel konnte beginnen. Kapitän Eilers und sein Schiff blieben am Strand vor Anker, erledigten Wartungsarbeiten oder tranken Tee und warteten auf die Rückkehr ihrer Gäste. Müde, geschafft und voller Eindrücke, aber glücklich kamen die Urlauber rund 8 Stunden später wieder im Juister Hafen an.
„Wappen von Juist“– Der Traum vom eigenen Schiff
1967 wurde die „Wappen von Juist“ in der Voss Werft in Westerende gebaut. Sechs Jahre war das Schiff unter dem Namen „La Paloma“ zunächst auf Norderney beheimatet und unternahm von dort Ausflugsfahrten, bevor es 1974 der Juister Kapitän kaufte und in „Wappen von Juist“ umbenannte. Für die nächsten 45 Jahre sollte das Ausflugsschiff dann seinen Heimathafen auf Juist haben und Touristen glücklich machen.

Diese Investition war ein großer Schritt für den damals 31-Jährigen. „Möglich war der Kauf nur, weil mir der Bünder Fabrikant Werner Hennings finanziell ausgeholfen hat“, erinnert sich Gerhard Eilers. Der nordrhein-westfälische Unternehmer liebte das Töwerland, wie Juist von den Einheimischen genannt wird, und verbrachte seine Urlaube auf der ostfriesischen Insel. Durch viele Ausflugsfahrten kannte er die Familie Eilers gut und war ihnen zugetan. „Für mich war das ein Glücksfall, denn mit der ‚Wappen von Juist‘ konnten wir nun rund 20 Passagiere mehr auf unsere Ausflüge mitnehmen“, berichtet der ehemalige Kapitän, der die gesamte Saison über Ausflugsfahrten anbot. 100 Gäste fanden auf der „Wappen von Juist“ Platz, ein geräumiger und ausgebauter Innenraum lud nun auch bei schlechterem Wetter unter Deck zum Verweilen ein. Die Touren führten die Urlauber aber nicht nur nach Memmert, sondern auch regelmäßig zu den Seehundbänken, nach Borkum und Norderney sowie einige Jahre auch auf sogenannte Butterfahrten. „Wir mussten das Beste aus der Saison rausholen“, sagt Kapitän Eilers. Denn die Sicherheitsvorschriften waren hoch, jedes Jahr musste die „Wappen von Juist“ um- oder nachgerüstet werden. „Das war kostspielig.“
Eng verbunden: Seefahrerfamilie Eilers und Juist
Kapitän Eilers liegt die Seefahrerei im Blut. Sein Großvater Bernhard Eilers war bereits Kapitän bei der Frisia gewesen. Sein Onkel Wilhelm Tietken fuhr auf den Rettungsbooten „Borkum“, „Theodor Heuss“ und „Georg Breusing“ sowie auf dem Bereisungsschiff „Ems“. Nur sein Vater Hermann Eilers konnte aus gesundheitlichen Gründen kein eigenes nautisches Patent erwerben und wurde Tischler. Trotzdem konnte auch er sich der Seefahrerei nicht komplett entziehen, und so unterstützte er seinen Sohn liebend gern jeden Sommer von 1968 bis 1992 als zweiter Mann an Bord der „Wappen von Juist“. Familie Eilers stammt von „Töwerland“, auch wenn Gerhard „Herzi“ Eilers 1943 in Bad Vöslau bei Wien geboren wurde. Sein Vater war dort im Krieg stationiert. „Als es brenzlig wurde, schickte er meine Mutter mit mir noch im selben Jahr zu seiner Familie nach Juist“, erzählt Kapitän Eilers, der auf der ostfriesischen Insel aufgewachsen ist und bis heute hier lebt. „Ich möchte nirgendwo anders sein. Juist ist meine Heimat“, betont er. Auch wenn er gerne mit seiner Frau Maike seine Töchter in Hagen und in Südafrika besucht, ist das Ehepaar immer froh, wenn es wieder nach Hause kommt.
„Ich möchte nirgendwo anders sein. Juist ist meine Heimat.“

Von Anfang an stand für Gerhard Eilers fest, dass er mal in die Fußstapfen seines Großvaters und Onkels treten würde. Nach der achten Klasse ging er von der Schule ab und begann eine Ausbildung an der seemännischen Berufsfachschule in Elsfleth. Ein Vierteljahr wurde er dort mit dem notwendigen Knowhow für seine erste große Fahrt versorgt. Die erste Tour führte Gerhard Eilers als Schiffsjungen mit der Reederei Fritzen von Chile nach Rotterdam. Drei Monate war der junge Mann auf hoher See, um Erz zu transportieren. „Es ist das Seemannslos viele Wochen unterwegs zu sein“, sagt er. Weitere Fernreisen führten ihn nach Westindien und in die Karibik, später dann etwas kürzere mit Früchten an Bord von den kanarischen Inseln nach London. 1961 legte Gerhard Eilers seine Matrosenprüfung in Bremen ab. Einige Jahre fuhr er auf dem Versorgungsschiff zwischen Juist und Norddeich mit, bevor er 1966 bei der Seefahrtsschule in Leer sein Steuermannspatent ablegte und 1968 in Grünendeich an der Elbe schließlich das Kapitänspatent erlangte.

„Mir war damals schon klar, dass ich zurück nach Juist wollte“, erzählt der heute 79-Jährige. Sein Onkel brauchte Unterstützung und so kam Gerhard Eilers 1968 zurück. Er nahm die Sache in die Hand und stattete die „Ostfriesland“, das damalige Frachtschiff seines Onkels, mit einem neuen Motor aus und baute die Kajüte um. „So ging es für mich in diesem Sommer mit den Memmertfahrten los“, erinnert er sich zurück. Memmert war schon damals ein beliebtes Ausflugsziel. 80 Gäste konnte der junge Kapitän auf seine täglichen Fahrten mitnehmen. „Mit 25 Jahren wurde ich quasi ins kalte Wasser geworfen und konnte mich freischwimmen“, erinnert er sich heute lachend. Zum Nachdenken hatte er in diesen ersten Jahren aber keine Zeit. Er packte die Dinge an, bot im Sommer Ausflugsfahrten an und rüstete im Winter das Schiff um für den Transport von Fracht. „Kies, Steine – ich hatte einige Bauunternehmer an der Hand und alles im Griff“, bestätigt er rückblickend. Dann kam die Gelegenheit, die „Wappen von Juist“ zu übernehmen und damit das Geschäft mit den Ausflugsfahrten zu erweitern. Der junge Kapitän griff zu und wurde somit zu einer wahren „Institution“ auf Juist. Jeder Insulaner kennt, aber auch nahezu jeder Urlauber kannte, „Herzi“ Eilers und die „Wappen von Juist“. 45 Jahre unterhielt er seine Gäste auf seinen Ausflugsfahrten mit vielen Informationen sowie flotten Sprüchen und lenkte sie sicher durchs Watt.
Herr Eilers, wie sind Sie auf den Namen „Wappen von Juist“ gekommen?
Das Schiff hieß „La Paloma“. Das war für mich nicht der passende Name. Ich bin Insulaner und der Name sollte Bezug zu meiner Insel und dem Heimathafen haben. So manches Mal habe ich mich im Nachhinein über die Länge des Namens geärgert, wenn ich wieder alle Buchstaben nachpinseln musste (lacht).
Wieso werden Sie von allen „Herzi“ genannt?
Den Spitznamen hat mir mein Vater gegeben und alle anderen haben ihn übernommen. Hätte ich mich darüber aufgeregt, wäre es bestimmt nicht besser geworden. (lacht) So war das dann eben.
Was war ihr schönstes Erlebnis auf der „Wappen von Juist“?
Eine Hochzeit bei uns auf dem Schiff. Das war sehr bewegend und schön.
Der Papagei, der zuletzt im Steuerhaus hing, ist quasi das Markenzeichen der „Wappen von Juist“. Wie sind Sie zu dem Papagei gekommen? Was hat der Papagei gesagt?
Meine Tochter hat sich in solch einen Papagei auf einem Schiff in Südafrika verguckt. Dort sprach dieser allerdings italienisch, weil er zusammen mit einem Italiener die Fahrkarten verkaufte. Wir waren so begeistert von dem Papagei, dass wir aus einem Souvenirshop einen für unser Schiff mitbrachten. Der Papagei brabbelte alles nach, was man ihm vorsagte. So konnte er deutsch, englisch, holländisch oder auch italienisch reden.
Hatten Sie eine Lieblingstour?
Am allerliebsten bin ich zu den Seehundbänken gefahren. Da hatten wir die zufriedensten Gäste, das war entspannt. Die Kegelrobben waren meist sehr neugierig und schwammen nah an unser Schiff heran. Das fanden natürlich alle super. Besonders die Kinder machten kugelrunde Augen und waren begeistert, die wilden Tiere so nah zu erleben.
Schluss, Aus, Ende
„Doch das ist jetzt Schnee von gestern“, stellt Kapitän Eilers nüchtern-norddeutsch fest. „Die Zeit mit der ‚Wappen von Juist‘ war schön, aber nun ist es vorbei.“ Kapitän Eilers wollte selbst entscheiden, wann er aufhört. Einen Nachfolger hatte er nicht. „Ich musste jedes Jahr meine Gesundheitskarte erneuern. Das klappte zwar noch – auch mit 76 Jahren. Aber man hat schließlich eine Verantwortung den Gästen gegenüber und irgendwann ist man einfach zu alt“, erklärt er. Sein Entschluss stand 2019 fest, er hing die Seefahrerei an den Nagel und verkaufte die „Wappen von Juist“ an die Redeerei Norden-Frisia. Heute schippert er nicht mehr auf dem Meer herum und vermisst es tatsächlich auch nicht. „Arbeit habe ich trotzdem genug“, sagt er augenzwinkernd, denn als Besitzer von drei Ferien-Appartements wird es ihm nie langweilig. Ansonsten ist er leidenschaftlicher Jäger und gerne an der Bill oder dem Kalfamer unterwegs. „Am liebsten ganz früh morgens, wenn noch kein anderer auf den Beinen ist“, sagt der ehemalige Kapitän, der das Meer trotzdem noch liebt – aber nun nur noch von der Landseite.
Das Aus für Memmertfahrten oder wie geht’s weiter?
Leider bedeutete der Verkauf der „Wappen von Juist“ auch das Aus für die Memmertfahrten, was auch das Nationalpark-Haus, das eng mit Kapitän Eilers zusammengearbeitet hat, sehr bedauert. „Viele Touristen fragen die Ausflüge weiter nach, aber leider gibt es zur Zeit kein adäquates Angebot. Wir stehen in regem Austausch mit der Frisia dazu“, erklärt Jens Heyken, Leiter des Nationalpark-Hauses Juist. „Gerade die Memmertfahrten sind etwas ganz Besonderes“, betont er, denn in diesem Rahmen ließen sich Geschichte und Bedeutung der Vogelinsel wunderbar vermitteln.Zwar erhielt die Reederei Cassen-Tours, die Tochtergesellschaft der Reederei Norden-Frisia, die für das Ausflugsfahrtengeschäft verantwortlich zeichnet, den Betrieb vorerst aufrecht. Zumindest war so der Plan: 2020 gab es dann coronabedingt keine Fahrten. 2021 war die „Wappen von Juist“ dann doch noch – im Rahmen der Möglichkeiten – im Einsatz. 2022 war dann endgültig Schluss, da bei der jährlichen Inspektion des Schiffs diverse bauliche Mängel am Schiffskörper auftraten, deren Instandsetzung hohe Kosten verursacht hätte. Die „Wappen von Juist“ liegt nun als Anlegeponton im Hafen von Norderney und dient den Fahrgästen der Inselexpress-Minifähren als Steg. Eine Zulassung als Schiff hat sie nicht mehr.
Wie soll es nun mit den Memmertfahrten weitergehen?
Das ist leider nicht ganz klar. „Wir überlegen momentan, welches Fahrzeug sich am besten als Ersatz für die ‚Wappen von Juist‘ eignen würde“, sagt Fred Meyer von der Reederei Cassen-Tours. Ob die Frisia X oder das Schwesterschiff Frisia XI dafür in Frage kommen, ist noch nicht entschieden. Da beide Schiffe höher gebaut sind als die ‚Wappen von Juist‘ gestaltet sich der Ausstieg erheblich schwieriger. Jens Heyken sieht dies als kritisch an: „Denn ein Ausstieg über eine Leiter wäre wohl kaum möglich.“ Denkbar wäre diese Variante für ihn nur, wenn die Gäste „ausgebootet“ würden, das heißt, dass sie in ein kleines Beiboot umsteigen müssten und an den Strand gebracht würden.
Auch Fred Meyer schätzt den Ausstieg über eine vier bis fünf Meter lange Leiter als eher unzumutbar für die Gäste ein. Trotzdem hätten die beiden Schiffe viele Vorteile: „Wir könnten unserem treuen Publikum auf der Insel Juist nicht nur mehr Platz an Bord anbieten, wie zum Beispiel durch größere Freidecks, sondern auch ein gastronomisches Angebot auf dem Schiff.“
All diese Fragen will die Reederei im Frühjahr geklärt haben, so dass es dann voraussichtlich kurzfristig eine Entscheidung über das weitere Angebot geben wird. Vielleicht wären dann ab Sommer wieder Ausflüge zur Vogelinsel möglich. „Wir hoffen das sehr“, betont Jens Heyken, denn er weiß, was diese Fahrten den Urlaubern bedeuten: unvergessliche Erlebnisse.
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